Spezielle Orgeln gaben mit Orgelpfeifen, Paukenschlägen und Telefonklingeln in der Frühzeit des Kinofilms den Ton an

Seit 2014 führt das TECHNOSEUM regelmäßig Stummfilme vor, das nächste Mal „Der letzte Mann“ am 23. September 2020 um 19 Uhr. Das Besondere: Begleitet werden die Stummfilme stets live und an einer originalen Kino-Orgel aus dem Jahr 1929 – nur sechs spielbereite Orgeln dieser Art gibt es heute noch in Deutschland. Dr. Alexander Sigelen, Kurator am TECHNOSEUM, stellt sie hier näher vor.

Mit den ersten öffentlichen Filmvorführungen Ende des Jahres 1895 trat das Kino seinen Siegeszug um die Welt an. Um 1925 gingen in Deutschland am Tag etwa eine knappe Million Menschen in die Kinos. Bis zur Erfindung des Tonfilms am Ende der 1920er Jahre waren die Filme selbst zwar stumm. Für das Kino galt dies aber keineswegs. Häufig begleiteten Filmerklärer frühe Filmvorführungen. Noch bedeutender war jedoch die Musik, von Improvisationen auf verstimmten Klavieren in schmucklosen Vorstadt-Kinos bis hin zu Kompositionen für große Orchester in glanzvollen Filmpalästen.

Mit den Kino-Orgeln gab es sogar ein eigens für den Einsatz in Lichtspielhäusern erdachtes Instrument. Diese zur musikalischen Begleitung von Filmen konstruierten Pfeifenorgeln kamen um 1910 zunächst in den USA auf den Markt, nach dem Ersten Weltkrieg auch in Deutschland. Zwischen 1921 und 1931 wurden in deutschen Lichtspielhäusern insgesamt 145 Kinoorgeln eingebaut.

Spieltisch der Kino-Orgel

Ansicht aus dem Auditorium: der Spieltisch der Kino-Orgel

Da eine Kinoorgel ein ganzes Orchester ersetzen sollte, verfügt die Orgel im TECHNOSEUM  neben Orgelpfeifen auch über verschiedene Schlagwerke, zum Beispiel Pauke, Trommeln oder Xylophon. Sie werden mit an kleinen Bälgchen befestigten Hämmern angeschlagen. Besondere Effekte, ob Vogelgezwitscher, Donnergrollen, Autohupe oder Telefonklingeln, ermöglichen die klangliche Untermalung des Geschehens auf der Leinwand. Pfeifenwerk, Schlagwerk und der Effekt-Apparat mit den Vorrichtungen zur Erzeugung der entsprechenden Klänge befinden sich in der Orgelkammer hinter der Leinwand, während der Spieltisch im Kinosaal dem Organisten den Blick auf den Film gewährt.

Möglich wird dies durch eine damals sehr moderne Traktur der Kino-Orgel, also die Verbindung der Tasten mit den Pfeifenventilen und den Bälgchen der Schlagwerke. Die Luftzufuhr zu Pfeifen und Bälgchen wird nämlich durch Elektromagnete auf einen elektrischen Impuls beim Drücken der Taste hin geöffnet. Dadurch kann der Spieltisch, der über unzählige Kabelstränge mit den Pfeifen und den anderen Instrumenten verbunden ist, unabhängig von der Orgelkammer aufgestellt werden. Auch lassen sich so beliebige Pfeifen zu gleichzeitig ertönenden Registern zusammenfassen.

 

Die Kino-Orgel im TECHNOSEUM wurde einst von der Firma M. Welte & Söhne in Freiburg im Breisgau gebaut. Sie wurde ursprünglich 1929 im Kino „Scala“ im schweizerischen St. Gallen installiert, kurz bevor der Tonfilm dem Stummfilm den Rang ablief. Über einen Sammler kam sie schließlich 1982 an das damals im Aufbau befindliche Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim.