Manchmal erreichen uns ungewöhnliche Anfragen: Bei der Aufarbeitung der Universitätsgeschichte in der Zeit des Nationalsozialismus hatten die Kollegen im Universitätsarchiv Heidelberg fünf Schallplatten entdeckt, auf denen scheinbar eine Rede von Ernst Krieck aufgezeichnet war. Ernst Krieck war ab 1934 Professor und von 1937 bis 1938 Rektor an der Uni Heidelberg, Allerdings gab es keine Hinweise, um was für eine Rede es sich handelte und wann und wo sie gehalten worden war. Ob die Kollegen vom TECHNOSEUM hier vielleicht technische Hilfe leisten und die Platten abspielen könnten?
Ein bisschen Geschick
Nun, wir wollten nicht zu viel versprechen, aber versuchen wollten wir es auf jeden Fall. So brachten Dr. Schwarz und Herr Aris vom Universitätsarchiv ihren Fund zu uns ins Depot. Zunächst die Erleichterung: Es handelt sich um Schellackplatten, darauf sind wir – im Gegensatz zu Schallfolien – eingerichtet. Die nächste Überraschung: Die Platte läuft von innen nach außen, nicht von außen nach innen. Den richtigen Anfang zu finden, erfordert also einiges Fingerspitzengefühl und gute Reflexe sind gefragt, um den Tonarm am Ende rechtzeitig abzufangen, bevor er über den Plattenrand springt. Aber es gelingt uns: Die Stimme aus der Vergangenheit erklingt. Klärt sich damit auch die Frage nach dem wann und wo?
Wie Detektive bei der Arbeit
Leider fehlt die Anmoderation, also sind wir zunächst auf die technischen Besonderheiten angewiesen. Dass die Platten nur auf einer Seite Rillen haben und die ungewöhnliche Laufrichtung verweisen auf eine Aufzeichnung eines Reichsrundfunksenders. Hier war dieses Format üblich, es wurde eine Kleinstserie produziert, die dann den einzelnen Rundfunkgesellschaften, aber auch Archiven oder – beispielsweise als ganz besonderes Präsent – Einzelpersonen zur Verfügung gestellt wurde. Zur weiteren Analyse müsste die Aufnahme digitalisiert werden, doch darauf sind wir nicht eingerichtet. Geht nicht? Gibt’s nicht! Für einen zweiten Termin bringt Kollege Bernd Kießling kurzerhand von zuhause sein Aufzeichnungsequipment mit und damit gelingt es, mehr Spuren aus der Vergangenheit dingfest zu machen:
Autogeräusche – die Rede wurde im Freien gehalten. Aus Echos von deutlichen Wortendungen lässt sich sogar der Abstand zur nächsten Häuserwand errechnen. Der Redner steht vermutlich auf einem Balkon. Seitlich hinter ihm steht ein Mann, der immer wieder mit trockenem Husten zu kämpfen hat, was uns allerdings nicht wirklich weiter bringt. Eine Vorlesung in einem Auditorium können wir nun aber ausschließen, womit zum Beispiel die Antrittsvorlesung in Heidelberg ausscheidet.
Im Inhalt finden sich weiter Spuren. Die „alte deutsche Kaiserstadt Frankfurt“ solle in neuem Glanz erstrahlen… Das macht es wahrscheinlich, dass Krieck die Rede in Frankfurt gehalten hat, wo er vor seiner Zeit in Heidelberg als erster nationalsozialistischer Rektor eingesetzt war. Dann gibt es den Verweis auf eine Rede, die Adolf Hitler „gestern“ am Grab Friedrich des Großen gehalten habe. Sollte es sich hierbei um den „Tag von Potsdam“ handeln, den 21.3.1933? Dann wäre die Rede am 22.3.1933 gehalten worden. Eine kurze Internetrecherche zu einem anderen aus der Rede stammenden Stichwort macht die Vermutung zur Gewissheit: der 22.3.1933 war der „Tag des deutschen Buches“. Damit konnten wir die Archivkollegen mit einem digitalisierten Tondokument und Anhaltspunkten für die weitere historische Recherche auf den Heimweg schicken. Ende?
Nicht ganz. Wenige Tage später erreicht uns die Meldung, dass Ernst Krieck am 22. März 1933 im Rahmen einer Kundgebung des „Kampfbundes für deutsche Kultur“ eine Rede gehalten hat. Auf dem Frankfurter Römerberg. Da haben wir unseren akustisch analysierten Balkon! Aber wer da im Hintergrund gehustet hat, wird wohl ewig ein Rätsel der Geschichte bleiben…
Angela Kipp, Depotleiterin TECHNOSEUM
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