Der heilgymnastische Apparat „Velotrab“

Im „Lockdown light“ wird jetzt notgedrungen wieder verstärkt zwischen Schrankwand und Couchtisch im Wohnzimmer für körperliche Fitness gesorgt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts zog das sportliche Schwitzen erstmals in die eigenen vier Wände ein – zusammen mit neuartigen, oftmals kuriosen Trainingsgeräten. Ein Exemplar aus den TECHNOSEUM-Sammlungen erläutert hier Kurator Dr. Alexander Sigelen:

Als „Trabreit-Bergsteige-Radfahr-Apparat für Damen und Herren“ kam das Velotrab ab 1903 in Heilanstalten, orthopädischen Instituten sowie bürgerlichen Haushalten auf. Es hatte bereits alles, was zu einem richtigen Fahrrad-Heimtrainer gehört. Beim Treten der Pedale wird mittels einer Kette eine Schwungscheibe angetrieben. Der Clou: An der Welle des Schwungrades ist eine Exzenterscheibe mit Pleuelstange befestigt. Sie wirkt auf den im Sattelrohr beweglich gelagerten Sattel, der sich beim Treten hebt und senkt wie bei einer „scharfen Trabaktion des Pferdes“.

Velo-Trab

Früher Heim-Trainer: das Velotrab

 

Hersteller des Velotrabs war die Electricitätsgesellschaft Sanitas in Berlin. Das Unternehmen baute unter anderem eine unter dem Markennamen „Fön“ berühmt gewordene „Heißluftdusche“. Das Velotrab war ein weltweiter Verkaufsschlager, vertrieben von Buenos Aires bis Warschau. Auch das Exemplar des TECHNOSEUM stammt wohl aus dem Export, es trägt eine Marke der Firma Optillinen Aitta aus Helsinki.

Inspiriert war das Velotrab unter anderem von Geräten des schwedischen Orthopäden Gustaf Zander (1835-1920), der erstmals Maschinen für heilgymnastische Übungen einsetzte. In „Zander-Instituten“ konnte an solchen Maschinen trainiert werden. Allein in Deutschland gab es vor dem Ersten Weltkrieg 79 dieser frühen Fitnessstudios. Eines der dort eingesetzten Geräte war ein „Trabapparat“. Im Zentrum stand die Gesundheit: Mit gleichmäßigen Erschütterungen sollte unter anderem die Verdauung angeregt werden. Auch erste Fahrrad-Trainer kamen um 1900 auf – kein Wunder, der Radsport war schon damals äußerst populär, wie nicht zuletzt die seit 1903 regelmäßig stattfindende Tour de France zeigt.

Zeitungsannonce Velotrab

Fitness für daheim: Zeitungsannonce Anfang des 20. Jh.

Ein Schnäppchen war das Velotrab beileibe nicht: Um 1906 kostete es 180 Mark, das entsprach mehr als zehn Prozent des Jahreseinkommens eines einfachen Büroangestellten. Schon damals versprach die Werbung all jenen Linderung, die unter den bis heute berüchtigten Zivilisationskrankheiten litten: „Jeder, der durch sitzende Lebensweise, Bureauarbeit u. dergl. Mangel an ausgiebiger körperlicher Bewegung hat, besitzt im Velotrab das beste und zuverlässigste Mittel, alle drohenden Störungen abzuwehren und sich gesund und frisch zu erhalten.“

Weitere Geschichten rund um den Sport gibt es in dem Buch „Deutsche Sportgeschichte in 100 Objekten“, in dem dieser Beitrag zum Velotrab in einer ausführlicheren Fassung erschienen ist. Hier geht’s zur Buchbestellung.